Defibrillatoren ohne Batterie in Medizinhörsälen, jahrelang abgelaufene Batterien bei Rettungsdiensten, unbrauchbare Pads. Der Zustand vieler Geräte in Deutschland ist völlig unzureichend, fürchtet der Vorsitzende von Definetz e.V., Friedrich Nölle. Eine Stichprobe des Vereins zur Einsatzbereitschaft lasse Schlimmes befürchten: Mehr als die Hälfte der Geräte scheint schlecht gewartet. Unkenntnis, mangelnde Organisation und oft auch Nachlässigkeit sind nur einige der Ursachen.
Unna. (-cms) „Stellen Sie sich vor: Da ist ein Mensch im brennenden Haus. Die Feuerwehr kommt – aber die Drehleiter klemmt, weil sie nicht ordentlich gewartet wurde. Eine Katastrophe!“ Friedrich Nölle ist Erster Vorsitzender von Definetz e. V. Er und seine Mitstreiter erfassen die öffentlich zugänglichen Defibrillatoren in ganz Europa in einer Karte – bundesweit verzeichnet sie 33.000 Standorte – und haben sich zum Ziel gesetzt, dass es noch viel mehr werden sollen. „Unser Traum ist die engmaschige Abdeckung mit den lebensrettenden Geräten. Unser Alptraum: Ein Mensch stirbt am Plötzlichen Herztod, es ist sogar ein Defi in der Nähe – aber der funktioniert nicht. Und das ist leider durchaus möglich, denn nach unserer Einschätzung ist die Einsatzbereitschaft der Defibrillatoren in Deutschland völlig unzureichend.“
Jede Stunde wird irgendwo in Deutschland ein neuer Defibrillator aufgehängt – von einem Verein, einer Firma, im Fitness-Studio, in einer Apotheke oder Praxis. Dabei handelt es sich um so genannte Automatisierte Externe Defibrillatoren (AED), die speziell für den Gebrauch durch Laien konstruiert sind. Wenn der Plötzliche Herztod eintritt, zählt jede Minute. Und dann ist es gut, wenn ein Defibrillator in der Nähe ist, der das Herz mit einem Elektroschock wieder zum Schlagen bringt. Helfen kann jeder: Die AED-Geräte sind einfach zu bedienen, sie erklären dem Nutzer Schritt für Schritt, was zu tun ist.
Einmal angeschafft und dann vergessen
„Jeder Mensch, der einen Defibrillator anschafft und ihn zur Verfügung stellt, macht das aus einem sehr ehrbaren Motiv: Er möchte sicherstellen, dass im Notfall für andere, seine Familie oder auch sich selbst ein Defibrillator in der Nähe ist, wenn es darauf ankommt“, sagt Wolfgang Schlüss, Vertriebsleiter des Medizintechnik-Großhändlers MEDICAL Industrie GmbH & Co.KG in Mettmann. „Leider führt das durch die Anschaffung gewonnene Sicherheitsgefühl häufig dazu, dass die Geräte ein unbeachtetes Dasein an der Wand oder im Schrank führen. Dazu trägt bei, dass viele Hersteller angegeben haben, ihre Geräte seien wartungsfrei. Trotzdem müssen aber Batterien und Pads gewechselt und auch die eine oder andere Software-Änderung vorgenommen werden. Wird dies vergessen, können die Geräte ausgerechnet dann versagen, wenn man sie am meisten braucht.“
Neue Betreiberverordnung gilt seit vier Jahren.
Deshalb schreibt der Gesetzgeber mit der neuen Medizinprodukte-Betreiberverordnung seit dem 1. Januar 2017 auch für die AEDs eine regelmäßige Sicherheitstechnische Kontrolle (STK) vor, die spätestens alle zwei Jahre stattfinden muss. Theoretisch. Denn eine Meldepflicht gibt es nicht. In der Praxis hat diese Nachricht also viele Betreiber noch gar nicht erreicht: „Bei den Arbeiten an unserem Defikataster stellen wir immer wieder fest, dass zahlreiche Defibrillatoren nicht funktionsfähig sind oder schon lange über die für die STK vorgeschriebene Frist hinaus nicht mehr gewartet wurden“, sagt Vorsitzender Nölle, dessen Verein die bundesweit größte interaktive Karte für Defibrillatoren betreibt und einen Mitarbeiter in Vollzeit allein damit beschäftigt, neue Standorte aufzunehmen und bestehende zu überprüfen.
Dr. Christian Pawlak, Vorstandsvorsitzender des Arbeitskreises Notfallmedizin und Rettungswesen (ANR) an der Ludwig-Maximilian-Universität (LMU) München, bestätigt diese Beobachtung: „In unserem Arbeitskreis beschäftigen wir uns schon seit vielen Jahren mit der Frage, wo sich Defibrillatoren befinden und wo sie hingehören. Unzweifelhaft müssen die Geräte natürlich stets gewartet und funktionsfähig sein! Die gesetzlichen Vorschriften sind daher zu begrüßen, aber die Betreiber müssen sie auch umsetzen. Mit großer Sorge betrachten wir, dass dies nicht immer der Fall ist.“
Ähnliche Erfahrungen bei Wartungsfirmen
Auch Thorsten Holtgrefe von der STRUCK Medizintechnik GmbH Medical Concept in Enger, die Gerätewartungen sowie Funktions- und Sicherheitsüberprüfungen nach STK ausführt, hält eine noch weitergehende Kontrollpflicht für die im Markt vorhandenen AED-Geräte für unbedingt erforderlich. „Nur so kann die Betriebsbereitschaft im Einsatzfall sichergestellt werden.“ Seine Erfahrung: „Bei den nicht regelmäßig überprüften Geräten kommt es häufig zu nicht betriebsbereiten Systemen aufgrund von Batterieproblemen, bereits abgelaufenen AED-Elektroden oder auch Komplettdefekten. Der Betreiber geht hier immer noch von funktionsbereiten AED-Systemen aus, da diese in der Vergangenheit ja oftmals als völlig wartungsfrei angeboten wurden. Nichts ist schlimmer als ein durch fehlende Wartung im Notfall nicht einsatzbereiter AED!“
Und der ist offenbar kein gelegentlicher Einzelfall. Friedrich Nölle: „Ich behaupte nach unserer Stichprobe sogar, dass weit mehr als die Hälfte aller Geräte nicht funktioniert.“ Nachdem sich bei den Überprüfungen immer wieder Ausfälle ergeben hatten, hat er im Dezember eine Stichprobe unter anderem bei einigen der Institutionen initiiert, die mit der STK betraut sind. Das Ergebnis ist höchst alarmierend: Ein Techniker berichtet, dass bis zu 90 Prozent der in seinem Unternehmen geprüften, mehr als zwei Jahre alten Geräte erhebliche Mängel aufwiesen. Diese sind in der Regel nicht einmal auf technische Unzulänglichkeiten zurückzuführen, sondern auf menschliches Versagen: Das Vorhandensein von Geräten werde schlicht vergessen, Verantwortliche wechseln, Routinen griffen nicht, und: „Der Defi ist doch noch neu!“ – wobei übersehen werde, dass einfach jedes Gerät gewartet werden muss. Zwar gab es nach Einführung der STK ein leichtes Ansteigen der Zahlen für die Gerätewartung, aber die inzwischen längst anstehende neue Wartung wird laut Aussagen eines anderen Unternehmers nur zu 5% genutzt.
In einem hoch frequentierten deutschen Seebad erwiesen sich bei der Definetz-Stichprobe nur zwei der zehn nach dem Zufallsprinzip überprüften Defis als einsatzfähig. Hier fand man unter anderem acht Jahre alte Elektroden und gleich mehrere zehn Jahre alte Batterien, die längst schon ihre Funktionalität verloren haben. „Man kann über viele Dinge unterschiedlicher Meinung sein, aber dass ein technischer Lebensretter wie ein Defibrillator zu jeder Zeit funktionieren muss, darüber kann man nicht ernsthaft diskutieren. Eine technische Kontrolle allein bietet die die Gewissheit, dass ein Mensch überlebt, der hätte gerettet werden können“, sagt Dipl. Ing. (FH) Klaus Feicht, Geschäftsführer der Sonoportal GmbH in Tittling.
Friedrich Nölle und sein Verein Definetz e.V. fordern jetzt eine wissenschaftliche Untersuchung der an öffentlichen Standorten angebrachten Defibrillatoren zumindest in Deutschland: „Unsere Ergebnisse sind ja zunächst nur eine Stichprobe. Eine wissenschaftliche Untersuchung müsste die daraus abgeleiteten Aussagen untermauern. Fest steht für uns aber jetzt schon: Die STK-Situation für Geräte, die älter als zwei Jahre sind, ist besorgniserregend. Nach unserer Meinung sollten alle Geräte einer regelmäßigen, verbindlichen Kontrolle unterzogen werden. Das Argument, dass dann möglicherweise weniger Geräte im öffentlichen Raum stehen, weil sich weniger Betreiber dafür finden, ist glatter Unsinn: Was nutzen Geräte, die im Notfall nicht funktionieren?“ Auch Dipl. Ing. Holger König, Geschäftsführer HERZKönig Medizintechnik GmbH in Bad Schwartau sieht das so: „Ein Auto muss regelmäßig zum TÜV – das haben wir verinnerlicht. Das ist auch gut und richtig so, denn schließlich soll es uns nicht nur transportieren, sondern auch schützen. Wie kann man überhaupt auf den Gedanken kommen, dass dies für einen AED nicht gelten könnte? Die STK ist die Versicherung dafür, dass die Geräte genau das tun, wofür sie gebaut wurden: Leben zu retten.“
Dr. Stephan Prückner ist Geschäftsführender Direktor am Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement am LMU-Klinikum München und einer der einflussreichsten bayerischen Notfallmediziner. Er appelliert an die Betreiber der öffentlich zugänglichen Geräte: „Auch wenn der Defibrillator erst an vierter Stelle nach Prüfen-Rufen-Drücken in der Rettungskette eingesetzt wird, ist er doch das Mittel der Wahl, um den Zustand des Plötzlichen Herztodes zu revidieren und dem Patienten eine Chance auf ein Weiterleben zu geben. Ein Gerät, das einmal in Verkehr gebracht wurde, muss also funktionieren! Das wird durch die so genannte Sicherheitstechnische Kontrolle gewährleistet. Nur dann ist sichergestellt, dass ein Gerät im Notfall einsatzbereit ist. Wie immer im Gesundheitswesen ist es das Zusammenspiel vieler Komponenten, die den Erfolg ausmachen. Und wenn jemand einen Defibrillator aufstellt, dann tut er das in der besten Absicht ein Menschenleben zu retten. Welche Schuldgefühle würden diesen Menschen sein Leben lang begleiten, wenn ausgerechnet sein Gerät im Notfall versagt?“